„Gemeinschaftliche Wohnprojekte beschreiten neue Wege und bieten innovative Lösungen für Herausforderungen, mit denen der Wohnungsbau und die Gesellschaft insgesamt heute konfrontiert sind. Wir möchten diese Projekte und Konzepte daher bekannter machen“, so die Staatssekretärin Dr. Beatrix Tappeser anlässlich der Preisverleihung in der Kunsthalle Darmstadt. „Wie bietet man den heutigen Lebensentwürfen und vielfältigen Wohnformen eine angemessene Hülle? Wie gehe ich innovativ mit Sparzwängen um? Welchen „Luxus“ kann ich mir leisten, weil ich mir Räume und Einrichtungen mit anderen teile? Wie stifte ich eine gute Nachbarschaft? Hierauf geben die Projekte, die wir heute auszeichnen Antworten“, lobte die Staatssekretärin.
Der „Hessische Preis für Innovation und Gemeinsinn im Wohnungsbau“ wurde vom Hessischen Ministerium für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz in Kooperation mit der Liga der freien Wohlfahrtspflege in Hessen und der Architekten- und Stadtplanerkammer Hessen erstmals ausgelobt. Das Hessische Ministerium für Soziales und Integration unterstützte die Auslobung. Insgesamt 70 Projekte aus ganz Hessen hatten daraufhin Beiträge eingereicht. Sechs von ihnen wurden heute ausgezeichnet. Die Jury aus Architekten, Fachleuten für gemeinschaftliche Wohnprojekte, und Vertretern der auslobenden Institutionen bewerteten in zwei Kategorien: Projekte, die bereits realisiert und bewohnt sind, sowie Konzepte, die noch nicht gebaut, aber in der Planung weit fortgeschritten sind. Zur Bewerbung zugelassen waren ausdrücklich auch Umbauten von Bestandsgebäuden.
In der Kategorie der realisierten Projekteteilen sich zwei Projekte aus Darmstadt den ersten Preis und erhalten jeweils 12.000 Euro:
- „AGORA – Wohnprojekt mit Kultur-Café-Restaurant“ am Ostbahnhof und
- „K76“ in der Karlstraße.
In der Kategorie der Konzepte werden ebenfalls 12.000 Euro vergeben an das Projekt
- „Gemeinsam suffizient leben“, das in der Friedberger Landstraße in Frankfurt am Main geplant ist.
Darüber hinaus wurden in der Kategorie der Konzepte drei Anerkennungenausgesprochen, die jeweils 1.333 Euro erhalten:
- „Inklusives Wohnen am Klostergarten“ in Niddatal
- „Haus Händewerk“ in Spangenberg und
- das „Hausprojekt NiKa“ in Frankfurt am Main.
Die Mitglieder der Jury fungierten bei der Preisverleihung als Laudatoren und stellten die Projekte jeweils kurz vor. Sie erläuterten die Bewertung der Jury bevor Staatssekretärin Dr. Beatrix Tappeser den Preisträgern gratulierte und die Urkunden überreichte. Sie stellte fest: „Ich freue mich besonders, dass auch Projekte im ländlichen Raum prämiert werden. Wir brauchen dringend Ideen, wie Wohnen für alle Lebenslagen, ggf. mit Betreuung in den Ortskernen im ländlichen Raum wieder attraktiv wird.“ In Spangenberg wird ein kleines Haus im Altstadtkern zur zentralen Anlaufstelle mit Café und Laden, darüber liegen Wohnungen für Geflüchtete, an deren Herstellung sich die Bewohner beteiligt haben. In Niddatal entsteht ein großes integratives Projekt, das auch Arbeitsplätze bieten soll, angrenzend an eine Klosteranlage. Historische Bestandsgebäude werden hier genutzt und durch einen Neubau ergänzt. „Natürlich stehen wir insbesondere in den Städten vor der Frage, wie wir den Menschen zu Wohnungen verhelfen, die eine gute Wohnqualität bieten und die sie sich leisten können. Da sind Wohnprojekte nicht die alleinige Lösung, sie müssen zu den gleichen Kosten bauen wie andere auch. Aber dennoch liefern sie Ideen: Die zukünftigen Bewohner des NiKa Hauses im Frankfurter Bahnhofsviertel nutzen ein ehemaliges Bürogebäude unter Mitwirkung des Mietshäusersyndikates kostengünstig um und unterstützen als solidarische Gemeinschaft die Familien im Haus in Form einer reduzierten Miete. Bei „Gemeinsam suffizient leben“ in Frankfurt, geht es darum, auf sorgsam durchdachtem Grundriss mit wenig Fläche auszukommen und auf diese Weise Kosten zu sparen. Großzügigkeit wird jeweils bei den von allen Bewohnern genutzten Flächen geboten, wie den Dachterrassen oder den Gemeinschaftsräumen.
Hauptmotiv gemeinschaftlicher Wohnprojekte ist jedoch nicht das kostengünstige Bauen und Wohnen, also die rein quantitative Bedarfsdeckung. Immer geht es darum, sein Leben nicht isoliert zu führen, sondern in eine Gemeinschaft oder Nachbarschaft mehr oder weniger eng eingebunden zu sein. Hierfür sind Standardlösungen, wie sie der herkömmliche renditeorientierte Immobilienmarkt bietet, kaum geeignet. Wohnprojekte erweisen sich daher als Pioniere am Wohnungsmarkt. Von der Projektentwicklung, der geeigneten Rechtsform, dem Anspruch an Nachhaltigkeit bis zum sozialen Miteinander stellen sie sich hohe Ziele. Dies zeigt sich v.a. bei den beiden Preisträgern in der Kategorie der realisierten Projekte. AGORA nennt sich die Genossenschaft, die am Eingang zum neuen Edelsteinviertel am Darmstädter Ostbahnhof ihr Wohnprojekt mit rund 50 Wohnungen in vier Gebäuden umgesetzt hat. AGORA versteht sich mit seinem Café und den Seminar- und Veranstaltungsräumen als Quartiersmittelpunkt. Die Bewohner und Nachbarn unterstützen sich gegenseitig im Alltag und zahlreiche Gemeinschaftseinrichtungen wie Werkstätten, Dachgarten, Sommerküche, Gästewohnung oder das Teilen von Autos und Werkzeugen dienen dem Gemeinsinn und dem täglichen Austausch. Der zweite erste Preisträger, das Projekt K76 in der Darmstädter Karlstraße ist mit 13 Wohneinheiten deutlich kleiner, aber ebenfalls als Genossenschaft organisiert. Initiiert wurde dieses Projekt von den Architekten, die die Hardware, also das robuste Betonskelett des Gebäudes mit Innenausbau in Trockenbauweise erdachten. So können die Wohnungen einzeln oder gekoppelt genutzt werden, verschiedene Varianten und individuelle Grundrisse sind innerhalb des Skeletts möglich. Somit kann der Wohnraum an die jeweilige Lebenssituation angepasst werden. Außerdem wurde eine innovative Infrarot-Heizung installiert. Das „Nur-Strom-Haus“ verfügt dabei über eine große Photovoltaik-Anlage.
„Ich bedanke mich bei allen Teilnehmern und hoffe sehr, dass ihre Projekte andere inspirieren und ihnen den Weg ebnen. Neben der quantitativen Versorgung der Menschen mit Wohnraum, sollten wir großen Wert darauf legen wie ein gutes Zusammenleben gelingen kann. Hier zeigen die eingereichten Projekte eine enorme Bandbreite: Vom betreuten Wohnen für ältere Menschen, Demenz-WG’s, Angebote für Jugendliche, Familien oder Menschen mit Einschränkungen. Besonders große Freude machen dabei integrierte Lösungen. Gemeinschaftliche Wohnprojekt können hier viel leisten und zum wichtigen Quartiersbaustein werden. Das wollen wir unterstützen“, so die Staatssekretärin zum Abschluss.
Hintergrund
Der Preis wurde vom Umweltministerium in Kooperation mit der Liga der freien Wohlfahrtspflege in Hessen und der Architekten- und Stadtplanerkammer Hessen erstmals ausgelobt. Das Sozialministerium unterstützte die Auslobung. Die Jury setzte sich zusammen aus Architektinnen und Architekten, Fachleuten für gemeinschaftliche Wohnprojekte, Vertreterinnen und Vertretern der beteiligten Ministerien, der Architekten- und Stadtplanerkammer sowie der Liga der freien Wohlfahrtspflege. Beworben hatten sich 70 Projekte aus ganz Hessen.